Wort-Wahlen

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Es gibt Wörter, die ich liebe oder die ich hasse, die mich provozieren, die mich sofort wissend nicken lassen, die Konsens herstellen oder Protest entfachen, die ich oft verwende und solche, die ich nie in den Mund nehmen würde. Jede*r hat da wohl ihre*seine ganz persönlichen Favoriten und Erfahrungen. Und es gibt Wörter die ein ganzes Land bewegen, die ein Jahr charakterisieren und den öffentlichen Diskurs bestimmen: Jamaika-Aus, Vollholler, #metoo und Frauenquote – was diese Wörter verbindet? Sie alle wurden zu Wörtern des Jahres 2017 gewählt, und zwar in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein – was alle DACHL-Fans freuen wird. Denn all diese Wörter öffnen nicht zuletzt wunderbare Landeskunde-Fenster und lenken den Blick auf Themen, die die jeweilige Gesellschaft beschäftig(t)en.

Am längsten gibt es die Wahl zum Wort des Jahres in Deutschland. Dort werden seit 1977 regelmäßig Wörter und Wendungen gekürt, „die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben“, wie auf der Homepage der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. zu lesen ist. Nach und nach folgten – genau aus diesem Grund – die anderen deutschsprachigen Ländern mit eigenen Wahlen, da sich das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben von Land zu Land eben doch unterscheidet.

In Österreich steht eine Jury rund um Prof. Rudolf Muhr von der Forschungsstelle Österreichisches Deutsch seit 1999 hinter dem Wort des Jahres – und nicht nur dem Wort, sondern auch dem Unwort und dem Spruch des Jahres, die folgende Kriterien erfüllen müssen:

Das Wort/UN-Wort/der Spruch sollte
1. im heurigen Jahr
2. in Österreich
3. wichtig
4. häufig
5. von besonderer Bedeutung und
6. besonderer sprachlicher Qualität sein.
Dabei spielte es keine Rolle, ob das Wort einen neutralen, positiven oder negativen Inhalt ausdrückt.

So lautet die Begründung für die heurige Wahl von „Vollholler“ zum Wort des Jahres folgendermaßen:

Der genuin österreichische Ausdruck wurde von den WählerInnen an die erste Stelle gewählt. Damit lässt sich abschätzig, aber nicht unbedingt beleidigend zum Ausdruck bringen, dass etwas, seiner Meinung nach, „ein völliger Unsinn“ ist. Die Formulierung war in einer Aussage von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) enthalten, der auf eine Äußerung seines Regierungspartners und Außenministers Sebastian Kurz (ÖVP) reagierte, wonach die sog. „Mittelmeer-Fluchtroute“ geschlossen werden sollte. Das gesamte Zitat: „Das ist, ehrlich gesagt, der nächste populistische Vollholler.“ Der bis dahin informelle Ausdruck hat sich seither im öffentlichen Sprachgebrauch etabliert, so wie es seinerzeit schon bei „vernadern“ oder „Haklerregelung“ der Fall war.

Auf der oben genannten Homepage findet sich unter OEWORT übrigens eine Übersicht über alle bisher gewählten Un-/Wörter samt Begründungen für deren Wahl. Eine kleine Zeitreise gefällig? Sondierungsgespräche, Teuro, Penthouse-Sozialismus, Bundestrojaner, Lebensmensch, Euro-Rettungsschirm, Willkommenskultur, Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung … Da tauchen wohl gleich ganz konkrete Erinnerungen auf.

2002 begann Liechtenstein mit der Ermittlung eines eigenen Wort des Jahres und ein Jahr später schließlich auch die Schweiz, die heuer übrigens einen für die Anerkennung von Mehrsprachigkeit wichtigen Schritt gegangen ist: Erstmals wurde eine mehrsprachige Wahl durchgeführt und neben dem deutschen Wort des Jahres auch ein französisches gewählt. 2018 soll dann auch Italienisch und 2019 Rätoromanisch folgen.

Das regt für einen möglichen Einsatz im Unterricht natürlich gleich zu mehrsprachigen Wortwahlen in mehrsprachigen Gruppen an: Neben den gesellschaftlich populärsten Wörtern könnten Wahlen des längsten/kürzesten, lustigsten, schwierigsten, mehrdeutigsten Wortes stehen…. oder einfach des schönsten! Bei der Recherche für diesen Blog-Beitrag ist mir nämlich eine ganz besondere „Wort-Wahl“ eingefallen: die nach dem schönsten Wort in der deutschen Sprache. Diese liegt zwar schon einige Zeit zurück, ist aber trotzdem immer wieder wert erinnert zu werden (und kann ja jederzeit und für jede Sprache wiederholt werden). Damals (2004) gab es einen großen internationalen Wettbewerb des Deutschen Sprachrats und des Goethe-Instituts, um Das schönste deutsche Wort zu wählen. Aus 22.838 Einsendungen (Wörter samt Begründungen) aus 111 Ländern wurde schließlich eine ausgewählte Sammlung der schönsten Liebeserklärungen an die deutsche Sprache in Buchform herausgegeben (s.u.). Besonders berührend und inspirierend finde ich hier den „Blick von außen“, von Lerner*innen des Deutschen, denen so viel und anderes auffällt, was sie an dieser Sprache schön finden. Höchstwahrscheinlich, weil sie sich jedes Wort bewusst aneignen müssen, es fühlen, schmecken, ausprobieren, bis es zu ihnen gehört.

Zum Abschluss – und zum grauen Winterwetter passend – noch eine Kostprobe:

Wehmut

eine stille Trauer hat eine große Merkwürdigkeit:

da gibt es sogar ein bisschen melankolische Heiterkeit.

Das Wort klingelt sehr sanft.

(Turja Turenius, Finnland, S.121, In: Das schönste deutsche Wort)

Links:

Jutta Limbach (Hg): Das schönste deutsche Wort. Hueber 2005

Wort des Jahres 2017 in Deutschland: Jamaika-Aus

Wort des Jahres 2017 in Österreich: Vollholler

Wort des Jahres 2017 in der Schweiz: #metoo (Deutsch) und harcèlement (Frz.)

Wort des Jahres 2017 in Liechtenstein: Frauenquote

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